Offener Brief an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Ihre Kleine Anfrage „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ – eine demokratische Verantwortung?

Sehr geehrte Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Sehr geehrter Herr Merz, sehr geehrter Herr Dobrindt,

die Union in Deutschland steht für eine wehrhafte Demokratie. Mit „Eigenverantwortung,
Leistung und Solidarität“ sollen die aktuellen tiefgreifenden Umbrüche bewältigt werden –
so steht es in Ihrem Wahlprogramm. Aber: „Populisten und Extremisten vertiefen die
Spaltung immer weiter“.

Wir teilen diese Einschätzung und glauben, dass in einer Demokratie Streit und Debatte
über den gemeinsamen Weg wichtig und zentral sind. Die Bürgergesellschaft, die wir
Zivilgesellschaft nennen, ist in Deutschland geprägt durch die aktive Partizipation vieler, die
das öffentliche Leben gestalten und auf der Basis des Grundgesetzes um die besten
Lösungen ringen. Das eint uns und unterscheidet uns von Demokratiefeinden.

Wir alle verteidigen – oftmals mit dem Rücken zur Wand – eine lebendige demokratische
Kultur vor Ort und setzen uns seit Jahrzehnten für eine pluralistische und liberale
Demokratie, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ein. Umso stärker
sind wir schockiert über die Sichtweise auf bürgerschaftliche Organisationen, die in Ihrer
direkt nach der Bundestagswahl eingebrachten Kleinen Anfrage „Politische Neutralität
staatlich geförderter Organisationen“ (Drucksache 20/15035) vertreten wird. Die mit der
Anfrage eingeforderte politische Neutralität zivilgesellschaftlicher Organisationen ist nicht
nur Teil einer kritischen Nachfrage. Die Vorwürfe betreffen den Kern einer freiheitlichen
Gesellschaft: Kritik und Debatte zu politischen Plänen gehören zur Demokratie dazu, sie
machen sie stabil und lebendig. Statt demokratisches Engagement zu würdigen, zu
schützen und zu stärken, stellen Sie ehrenamtliche Initiativen ebenso wie gemeinnützige
Vereine, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen unter Generalverdacht.

Werden Sie Ihrer demokratischen Verantwortung gerecht

Als größte Fraktion im Deutschen Bundestag und voraussichtliche Regierungspartei tragen
Sie eine besondere Verantwortung, unser demokratisches Fundament zu bewahren und
den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Eine kritische und engagierte
Bürgerschaft ist dabei kein Störfaktor, sondern stärkt unser Land und ist ein wesentlicher
Bestandteil unserer Demokratie.

Zivilgesellschaft ist nicht neutral

Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit: Organisationen müssen sich weiterhin klar
gegen Angriffe auf die Menschenwürde positionieren können. Sie beziehen sich auf das
Grundgesetz und verteidigen die darin verankerten Werte. Demokratie lebt von
Verantwortungsbewusstsein – auch in der Zivilgesellschaft. Nichtregierungsorganisationen
sind zudem Grundrechtsträger: ihre Äußerungen sind Teil des pluralistischen
Meinungsspektrums.

Demokratie braucht konstruktive Diskussionen, keine Einschüchterung

Gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen sollten demokratische
Parteien sich nicht an Versuchen beteiligen, zivilgesellschaftliches Engagement durch
öffentliche Zweifel und potenzielle rechtliche Konsequenzen zu delegitimieren. Lassen Sie
uns stattdessen über eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts sprechen, die
demokratisches Engagement schützt.

Innere Sicherheit ist Sicherheit für alle

Als Partei, die sich der Inneren Sicherheit verpflichtet fühlt, sollte sich gerade die Union
noch stärker dem Erstarken rechtsextremer Deutungsangebote entgegenstellen – denn
diese führen zu tagtäglicher realer Gewalt. Das zeigen sowohl die vom
Bundesinnenministerium im Januar veröffentlichten Zahlen zu rechtsextremen Straf- und
Gewalttaten als auch die jährliche Bilanz der unabhängigen Opferberatungsstellen. Gerade
diejenigen, die sich für die Demokratie und Betroffene einsetzen, brauchen hier Ihre
Unterstützung.

Demokratie lebt von Debatten – und von Verantwortung

Eine wehrhafte Demokratie lebt vom Engagement der Menschen, die sich für sie einsetzen.
Diese Menschen und Organisationen brauchen mehr denn je Schutz und Rückendeckung,
auch wenn die Positionen auseinander liegen. Werden Sie dieser demokratischen
Verantwortung gerecht und lassen Sie uns gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Den gesamten offenen Brief mit allen Unterzeichner*innen finden Sie hier.