Kolonialismus in der Schule

O-Töne und oft überhörte Perspektiven

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  • Rassismuskritische Haltung

Rassismus in der Schule

Wenn wir das Thema Kolonialismus in den Blick nehmen, geschieht es immer vor dem Hintergrund, dass sich durch vielfältige und unterschiedliche Herkünfte, Zugehörigkeiten, Biografien und Erfahrungen der Menschen zwangsläufig auch viele Perspektiven darauf ergeben. Wie können wir den Raum dafür öffnen und diese auch abbilden?

Damit hängt eng die zentrale Frage zusammen, wie wir möglichst diskriminierungssensibel lehren, lernen und handeln können.  Ein erster Schritt ist, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass für viele Menschen Rassismus eine alltägliche Erfahrung ist. Dieser Baustein möchte hierzu einen Beitrag leisten. Mit einer Sammlung von O-Tönen, die denjenigen eine Stimme gibt, die ansonsten oft nicht gehört werden. Weil sie marginalisiert werden und ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Das Thema Rassismus ist leider noch nicht regelmäßiger Bestandteil von Lehrplänen. Dabei ist er ständiger Begleiter im Schulalltag vieler Schüler:innen. Wer davon betroffen ist, erlebt kaum einen Tag ohne Ausgrenzungserfahrungen, Andersbehandlung, nicht selten auch die Benachteiligung und Diskriminierung, im schlimmsten Fall Gewalt.

Rassismus zeigt sich auf vielfältige Weise. Beispielhaft genannt:  struktureller Ausschluss und institutionelle Diskriminierung oder Wegsehen, Bagatellisieren und Nicht-Handeln gegenüber rassistischer Diskriminierung.

Und wenn Rassismus erlernt ist und gesellschaftlich (unbewusst) weit geteilt wird, dann kann sich auch niemand davon frei machen, auch Lehrkräfte und Mitschüler:innen nicht. Und hier liegt das tiefere Problem: Viele teilen den Standpunkt, dass Rassismus falsch ist, er ist sozial nicht erwünscht. Der Streit entzündet sich daran, was als rassistisch gilt und wer die Deutungshoheit darüber hat.

Auch das Projekt „Schule ohne Rassismus“ kennt die Diskussionen unter Schüler:innen sehr gut. Dabei will der Titel keineswegs bescheinigen, dass es eine Schule ohne Rassismus gibt, sondern das Projekt möchte damit ein angestrebtes Ziel ausdrücken. Der zweite Teil heißt aber „Schule mit Courage“ und hierin steckt der eigentliche Kern des Projekts: Wenn jemand Rassismus oder andere Diskriminierung an der Schule erlebt, muss die Schulgemeinschaft etwas dagegen tun und sich engagieren. Das erklärte Ziel ist, dass Schulen aus ihrem Selbstverständnis heraus schon vorher etwas tun, damit es gar nicht so weit kommt, dass jemand Diskriminierungserfahrungen durchleben muss, die immer verletzend, im schlimmsten Fall traumatisierend sein können.

Schule ist ein Abbild der Gesellschaft, deshalb muss sie auch gesellschaftliche Debatten wie die über Rassismus führen. Die folgenden O-Töne und Interviews sind von denjenigen, die viel zu selten gehört werden: Von Rassismus betroffenen Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften.

Schüler:innen


Wie sind deine Erfahrungen zu Alltagsrassismus in der Schule?

In der 11. Klasse im Gymnasium sagte eine Lehrkraft zu mir: „Du kannst aber echt gut Deutsch sprechen!“

Eine Lehrkraft bringt Schokoküsse mit und benutzt das N-Wort mit dem Kommentar:“ Huch, das darf man ja nicht mehr sagen. Aber zum Glück ist ja niemand von denen im Raum.“ Niemand hat etwas gesagt, aber alle haben sich zu mir umgedreht.

Ich wurde in einem  Fach schlechter bewertet als die anderen. Es hat sich so angefühlt, als ob die Lehrkraft denkt: „Das, was die sagt, werte ich nicht so hoch“. In allen anderen Fächern hatte ich gute Zensuren. Nach einer Notenkonferenz änderte die Lehrkraft auf einmal ihr Verhalten und erhöhte die Bewertung meiner Leistungen.

Das habe ich auch beobachtet im Verhalten einer Lehrkraft gegenüber einem geflüchteten Jungen aus Syrien, der seit 2 Jahre in Deutschland war. Er hat sich sehr angestrengt, natürlich auch Fehler gemacht. Er wurde ständig streng beurteilt, kritisiert und kaum ermutigt. Seine Lebensrealität wurde nicht gesehen.

Es wurden seitens der Lehrkräfte Diskussionen über rassistische Begriffe oder kulturelle Aneignung eröffnet. Die Lehrkräfte erschienen dabei sehr unvorbereitet und haben unhinterfragt Ansichten vertreten, wie „das N-Wort sollte bei Pippi Langtrumpf bleiben“. Ich finde es wichtig, dass sich alle – insbesondere die zuständige Lehrkraft – zuerst mit möglichen Positionen zu einem Thema auseinandersetzen und reflektieren, bevor eine Diskussion geführt wird. Es ist auch sonst Anspruch der Schule, daten- und faktenbasiert zu arbeiten. Schlimm ist, wenn ich mich in einer Sonderrolle fühle, weil ich eine bestimmte Perspektive deutlich machen möchte oder auch soll. Man fühlt sich so allein. Die Diskussion war sehr verletzend und ich habe danach geweint. Im anschließenden Gespräch mit der Lehrkraft wurde ihr erst klar, wie schmerzhaft das für mich ist.

Was wird von anderen Schüler:innen/Lehrkräften unternommen?

Es gab Lehrkräfte, die sich stark gemacht haben für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus und Diskriminierung- z.B. die von der Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage AG. Ihnen war manchmal der Frust anzumerken, dass das Kollegium da nicht mitzieht und z.B. keinen Antirassismus- Workshop mitmachen möchte. Mein Gefühl ist, dass sich Lehrkräfte nicht eingestehen wollen, dass sie etwas nicht wissen. Befürchten sie Respektverlust?

Es gab Angebote von außen, zum Beispiel „Umgang mit rechten Parolen“ und eine Ausstellung der Friedrich-Ebert- Stiftung. Da konnten die Lehrkräfte sich aussuchen, ob sie als Klasse hingehen.

Ich habe meine Probleme mit der „Schule-ohne- Rassismus- AG“ oder mit meinen Freund:innen oder zuhause geregelt. Allgemein gibt es wenig Unterstützung, die Lehrkraft sehen sich in der Wissensvermittlung. Sie sehen sich nicht in der Aufgabe, für ihre Schüler:innen zu sorgen.

Wie stellst du dir eine Diskriminierungskritische Schule vor? Was wünscht du dir?

Ich wünsche mir, dass Lehrkräfte fortgebildet und sensibilisiert sind für das Thema Alltagsrassismus und Diskriminierung in Schule. Oft wird gesagt: „Vorfälle gibt es nicht“. Da wünschte ich mir, dass sie mal selbst spüren, wie es sich anfühlt, Diskriminierung oder Rassismus zu erleben. Es wäre schön, wenn die Perspektive und das Erleben von Schüler:innen mehr wahr- und ernstgenommen würden.

Ein kritischerer Blick auf das eigene Fach: zum Beispiel in Geschichte, die Deutung von Personen. Sie könnten die Lernmaterialien kritisch überprüfen, zum Beispiel bezogen auf das Afrikabild. Es könnte öfter mal eine Lektüre von einer Autorin gelesen werden.

Schulprogramme oder -Projekte wie Schule ohne Rassismus können Mut machen und sensibilisieren. Zeitgemäßer wäre, wenn alle Schulen rassismus- und diskriminierungskritisch wären!

Lehrer:innen

Eine Lehrkraft erzählt

Wie sind deine Erfahrungen zu Alltagsrassismus in der Schule? 

Ich nehme Alltagsrassismus regelmäßig unter meinen Schüler*innen wahr. In der Mittelstufe kommt es in letzter Zeit zu systematischen Fällen von Diskriminierung. Im Klassenchat einer 9. Klasse wurden sowohl rassistische Äußerungen getätigt als auch AfD-Parolen und Zugehörigkeit propagiert.

In meinem eigenen Unterricht mache ich Schüler*innen immer auf rassistische Äußerungen (Z-Wort, „farbig/dunkelhäutig“, „Indianer“, aber auch Kommentare gegen Menschen mit Migrationsgeschichte) aufmerksam, positioniere mich dazu und erkläre, warum diese nicht in Ordnung sind. Kolleg*innen berichten, dass Schwarze Schüler*innen von anderen Schüler*innen mit dem N-Wort beschimpft wurden.

Ich habe festgestellt, dass die Aufklärung und Organisation von Maßnahmen gegen diskriminierende Einstellungen automatisch immer in den Geschichtsunterricht geschoben werden. Insbesondere wenn man weitere organisatorische Dinge betrachtet wie die geringe Stundenzahl oder einen ohnehin schon vollen Lehrplan. Ich sehe mich als Geschichtslehrkraft in der Verantwortung, dem gerecht zu werden, halte aber ein grundsätzlicheres Vorgehen für effektiver. Weil so erwartet wird, dass die Schüler*innen aus dem Geschichtsleistungskurs es schon richten werden, womit wir wieder beim Thema persönliches Engagement sind.

Was wird von der Schule/Lehrkräften/anderen SuS unternommen?

Unsere Schule ist Teil des SoR-SmC Netzwerks.

Wir haben eine Arbeitsgruppe im Bereich Antidiskriminierung mit Präventionskonzept, die einen Leitfaden für Schüler*innen und Lehrkräfte geschrieben hat und eine neue Ordnungsmaßnahme („Missbilligung: Diskriminierendes Verhalten“). Zusätzlich werden Materialkisten für Workshops und den Unterricht entwickelt und gepackt. An der Arbeitsgruppe waren auch Schüler*innen beteiligt.

Einige Kolleg*innen klären über Rassismus auf.  Ich versuche meinen Unterricht divers zu gestalten und mich immer klar zu positionieren. Es hängt also oft vom Engagement Einzelner ab.

Wie stellst du dir eine diskriminierungskritische Schule vor? Was wünscht du dir?

Ich wünsche mir, dass eine diskriminierungskritische Schule nicht nur von einzelnen engagierten Lehrkräften abhängig ist. Meiner Erfahrung nach sind alle Aktionen nur Teil von Schule, weil einzelne Lehrkräfte Probleme wahrnehmen und mit Engagement an Programmen, wie SOR-SMC, teilnehmen oder für ihre Schulen Aktionen, Leitfäden etc. entwickeln.

Ich wünsche mir, dass nicht nur die sprachlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer ihre Lehrpläne divers und diskriminierungskritisch gestalten, sondern auch die Naturwissenschaften, dass es nicht nur einzelne Aktionen und Workshops gibt, sondern (verpflichtende) Fortbildungsarbeit bei Lehrkräften. Ich wünsche mir diverse Schulbücher und

Bildungsarbeit bei Erziehungsberechtigten. In den meisten Fällen folgen die Schüler*innen rechtspopulistischen Äußerungen, die sie von Zuhause kennen. 

Eine andere Lehkraft erzählt

Wie sind deine Erfahrungen zu Alltagsrassismus in der Schule? (Persönlich oder bei anderen wahrgenommen?)

Die Behandlung geschichtlicher Themen in der Gegenwart ist Kerninhalt von Geschichte. Das ist fundamental. Man erlebt das in alltäglichen Interaktionen im Schulleben, in Mensch-zu-Mensch-Interaktionen, auch im Biologie- oder Mathe-Unterricht. Meine Schule ist als Gemeinschaftsschule heterogen und migrantisch geprägt. Nazigruppen, die Sachen beschmieren, gibt es kaum. Rechte Familien würden ihre Kinder nicht bei uns anmelden. Große kulturelle Diversität in Familien und Herkunftsstrukturen haben rechte Parolen immer unterdrückt. Der Widerstand dagegen wäre einfach viel zu groß. Undifferenzierte Aussagen in Sekundarstufe I mit Begrifflichkeiten, die unreflektiert übernommen werden gibt es aber sehr wohl. Das N-Wort fällt selten als Schimpfwort, aber eine hohe Betroffenenzahl zeigt auch eine hohe Awareness unter den Schüler:innen. Aktionen wie ein Hitlergruß oder Schmierereien sind mir nur aus Tür-und-Angel-Gesprächen mit Kolleg:innen bekannt. Klare Benachteiligungen durch Kolleg:innen sind mir nicht bekannt. Verbale oder körperliche Angänge sind selten. Die Größe unserer Schule verhindert aber auch mehr Wissen über Vorfälle. Schüler:innen haben aber über Lehrer:innen gesprochen, die sich rechts geäußert haben sollen. Es gab in meiner Zeit noch keine Klassenkonferenz wegen rechter Vorfälle. Ich frage mich, ist das wegen der Hypothese von oben, dass wir so migrantisch geprägt sind, dass es keine rechtsextremen Vorfälle gibt oder bekommt man es nicht genug mit oder ist die Dunkelziffer so hoch? Eventuell ist auch der Austausch im Kollegium zu gering? Vielleicht müsste auch einfach einmal jemand die Frage stellen und es kämen doch Dinge zutage.

Was wird von der Schule/Lehrkräften/anderen SuS unternommen?

Kleinere Vorfälle werden innerhalb der Klasse geklärt, weil andere Schüler:innen oft schon sensibilisiert sind. Gefestigte Weltbilder oder konkrete Aktionen und Tätlichkeiten führen zu formalen Konsequenzen, basierend auf der Schulordnung. Pädagogisch würden wir zuerst das Gespräch suchen, alternativ kann es auch zu Sanktionen kommen. Bei Rassismus gegenüber Geflüchteten kann es zu Handlungsketten kommen. Dazu wird ein Brief an die Eltern mit dem Vorfall geschrieben, den diese unterschreiben müssen. Bei einer Wiederholung kämen mehr Sanktionen ins Spiel. Das Summen des Horst Wessel Liedes führte etwa zu einem pädagogischen Gespräch, da es unbedacht beim Onlinespiel aufgeschnappt wurde. So ein Konzept kann man einkaufen, um mehr Spielraum zu haben als das, was das Schulgesetz mit Schulakte und Verweis vorsieht. Damit soll es früher zu einem Reflexionsprozess kommen bei den Schüler:innen. Wir fahren also einen pädagogischen statt einen formaljuristischen Ansatz. Gewalt wird natürlich dennoch sofort geahndet. Mobbing, Mediensucht und vergleichbare Phänomene werden oft mit Workshops bedacht, politische Bildung findet aber nur bei auffälligen Klassen statt.

Das Zertifikat „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ kommt nur an die Schule, wenn man etwas leistet. Ich weiß aber gar nicht, wie das verfolgt wird. Das wäre spannend, das einmal anzuschauen. Wir haben eine AG Antirassismus, die lange unbesetzt war und mir war es zu peinlich, dass da niemand drin ist. Mittlerweile ist die Gruppe größer und die Referendar:innen machen mit. Wir machen bei „Gegen das Vergessen“ oder bei Gedenktagen mit. Den letzten Schulentwicklungstag zum Thema wüsste ich jetzt nicht.

Wie stellst du dir eine diskriminierungskritische Schule vor? Was wünscht du dir?

Ein informeller Umgang untereinander wäre sicher gut, ein Abbau von Hierarchiegefällen vor allem zwischen Lehrkräften und Schüler:innen. Das heißt nicht, dass sich alle duzen müssen. Mich muss niemand mit Sehr geehrter Herr X anschreiben. Alle Lehrkräfte, die im Bereich Schulpädagogik arbeiten, können sich gerne duzen. Mit Schüler:innen bin ich mir unschlüssig.

Eine sensible Sprache, in der aber nicht vorgeschrieben wird, wie gesprochen werden soll, aber die Schule soll sich auseinandersetzen mit gendersensibler Sprache. Beim Tag gegen Homophobie soll die Diversität innerhalb des Komplexes Schule dargestellt werden. Bei uns steht mittlerweile Lehrer:innenzimmer dran. Ich bin mir unsicher, ob das sein muss, aber es ist ja auch eine Diskriminierungsform und darf gerne zum Denken anregen.

Eine gewisse Rücksichtnahme auf Haushalte, in denen die Eltern nicht höchste Bildungsabschlüsse machen konnten, Rücksicht auf finanzielle Möglichkeiten von Familien. Das Leitbild von der inklusiven Schule treibt uns an und wir haben immer den Klimaschutz im Hinterkopf. Als Gemeinschaftsschule wollen wir alle fördern und nachhelfen, wo es nötig ist, aber der Gedanke bricht sich oft an der Realität, wenn es an Ressourcen mangelt. Das heißt aber nicht, dass wir es nicht versuchen. Auch ein Kollegium muss darum divers sein. Das ist bei uns aber noch lange nicht so. Das Kollegium ist wenig divers, die Schüler:innenschaft ist sehr divers.

Eltern

Welche Rassismuserfahrungen haben Ihre Kinder in der Schule gemacht?

Die Frage ist sehr pauschal, aber unten eine Antwort, auch wenn ich nicht alles auflisten kann.

Grundschule: Kind wird von der Lehrerin ignoriert, auch wenn es sich meldet. Kind wird von Mitschüler:innen wegen seiner Hautfarbe ausgelacht. Sehr viele Bücher mit verletzten rassistischen Bildern und Sprache. Dies fällt Kind auf und es spricht es immer wieder zu Hause an.  Kind wird von einem weißen Mitschüler gewürgt, da dieser ihm unterstellt, ihn provoziert zu haben. Dabei stand es nur am Spielfeld rum und war nicht beteiligt. Mitgebrachte getrocknete Mangos in der Schule fanden die anderen ekelig. Es findet die Vermittlung von einem undifferenzierte Afrika-Bild in der Schule statt. Lehrerin bestimmt, welches Essen Kinder bei einem Klassenfest in die Schule mitbringen dürfen. Und BIPoCs durften nur „Exotisches“ beisteuern. Es ist eine große Hilfe, dass es nicht der einzige BIPoC in der Klasse ist. Das sagt es inzwischen selbst und es hilft immens viel, sich mit anderen ohne Worte zu verstehen und zu wissen, dass sie möglicherweise die gleiche Erfahrung an der Schule machen.

Gymnasium: Kind wird für Lügner in der Schulkantine gehalten. Kind wird auch für ein verlorenes Buch in der Schulbibliothek verantwortlich gemacht. Das N-Wort fällt in der Klasse und wird von Klassenlehrkraft selbst mit einer skurrilen Begründung verwendet. Daraufhin geht eine Diskussion in der Klasse los. Geschichtsunterricht wird nicht rassismuskritisch gehalten. Klassenlehrkraft reproduziert auch die alten Narrative „Kolumbus“ hat Amerika entdeckt“, bis Kind sich einschaltet. Kolonialismus spielt in der 7. Klasse noch keine Rolle. Schullektüre in Deutsch ist nicht kritisch und wird nicht kontextualisiert. „Jim Knopf“ und „Pippi Langstrumpf“ werden ohne weiteres weiterempfohlen. Gymnasium ist offiziell Schule ohne Rassismus aber bietet nichts in dieser Richtung. Rassismus wird weitgehend auf der Schule vermieden, aber scheint omnipräsent zu sein.

Wie gehen Sie als Eltern damit um?

Kindern zuhören und ernstnehmen, denn es hat immer Tage danach gebraucht, bevor sie es zu Hause angesprochen haben. Sie wollen schließlich nicht die Eltern immer wieder alarmieren und selbst in der Schule dadurch auffallen. Wir versuchen, die Sachen mit Fakten richtig zu stellen und versprechen, wenn sie es wollen, ein Gespräch mit den beteiligten Personen.  Die oben genannten Fälle waren die, wo sie bewusst und aktiv Unterstützung bekamen und sie wollten. Wir geben ihnen andere Bücher zur Lektüre und üben gemeinsam rassismuskritisch durch die Bücher zu gehen. Dies betrifft auch die Sachbücher von der Schule. Bildsprache ist nicht immer inklusiv. Unsere Gespräche mit dem Geschichtslehrer verliefen sehr gut, auch wenn er nicht von seiner Begeisterung für Belletristik loslassen konnte. Er hat eine Offenheit für Empfehlungen und Weiterschulung des Kollegiums in die Richtung gezeigt. Es kam nur bis jetzt nicht zu Stande.

Wie wird das Thema Kolonialismus im Unterricht behandelt?

In der Grundschule noch kein Thema. Im Gymnasium (5. bis noch 7.) auch nicht. Vielleicht liegt es an den Curricula. Fakt aber ist, dass das Thema eine Rolle im Alltag der Kinder spielt. Die oben genannten rassistischen Übergriffe wären Chancen, um das Thema anzugehen, aber dies passiert oft nicht im „richtigen Unterricht“. Im Matheunterricht kann nicht gleich Kolonialismus aufgearbeitet werden. Bis dato wird das Thema im Deutsch- und Geschichtsunterricht verortet.

Rassismuskritische Haltung

Dieser Baustein unterstützt bei Reflexionsprozessen, um im Schulalltag rassismuskritisch denken und handeln zu lernen. Damit soll zum einen der Tabuisierung und Dethematisierung von Diskriminierungserfahrungen und Rassismus entgegengewirkt werden und zum anderen soll es möglich werden, das eigene Denken und Handeln zu reflektieren und so neue Handlungsoptionen zu erarbeiten und zu erproben.

Kritisch und persönlich die eigenen Verstrickungen in Abwertungs-, Unterdrückungs- und Ausgrenzungsdynamiken reflektieren

Rassismuskritik bedeutet, dass man Rassismus auch aktiv verlernen muss. Und es ist nicht Aufgabe von Betroffenen, rassistischen Menschen beizubringen, wie sie nicht mehr rassistisch sein können. Betroffene sind nicht freiwillig Expert:innen ihrer eigenen Diskriminierung. Stattdessen müssen wir alle diese Arbeit leisten, um in einer offeneren, vielfältigeren und sensibleren Gesellschaft zu leben, die für alle lebenswert und angstfrei ist. Die folgenden Fragen können der Reflexion dienen, was für Wissen aus der eigenen Lernbiografie möglicherweise rassistisch ist. Nach der Selbsterkenntnis richten sich die Fragen an Unterrichtsmaterialien und -quellen. Das heißt natürlich nicht, dass keine Fehler dabei passieren dürfen und alles perfekt sein muss. Mit Absolutheiten lässt sich in einer Demokratie kein Problem lösen. Es braucht eine gewisse Fehlerfreundlichkeit in diesem Lernprozess. Andererseits kann es auch kein Freifahrtschein für diskriminierendes Verhalten sein.

Lehrkräfte sind oft an der Kapazitätsgrenze und ebenso oft daran gewöhnt, ihre eigene Position in der Klasse verteidigen zu müssen. Unter Umständen können sie dann nicht zugeben, dass sie einen Fehler gemacht haben, Betroffenen wird die Betroffenheit abgesprochen und es passiert… nichts. Diejenigen Lehrkräfte, die sich in einen Reflexionsprozess begeben, sind leider oft Einzelkämpfer:innen, handeln vielleicht sogar aus eigener Betroffenheit heraus und haben es schwer, Aufmerksamkeit für die Behandlung des Themas zu finden, was wiederum viele Schüler:innen frustriert.

Bildungsforscher Karim Fereidooni schlägt vor, dass sich Lehrkräfte folgende (biografischen) Fragen selbst stellen:

  1. Inwiefern haben Rassismus-relevante Wissensbestände mein Leben beeinflusst? Also was hat Rassismus mir beigebracht?
  2. Was passiert in meiner Schule und in meinem Unterricht Rassismus-Relevantes?
  3. Inwiefern befördern meine Unterrichtsmaterialien, also z.B. das Schulbuch, Rassismus-relevante Wissensbestände?

Fragen zur Reflexion und kritischen Betrachtung von Unterrichtskonzeptionen und Materialien

  • Wer macht wem welche bildungsrelevanten Wissensangebote?
  • Wer spricht? Wessen Perspektiven werden dargestellt bzw. gehört?
  • Wessen Perspektiven werden nicht repräsentiert? Wer wird nicht präsentiert?
  • Wer darf entscheiden/mitbestimmen? Auf welchen Ebenen?
  • Wie wird über wen geredet?
  • Wer wird wie repräsentiert? z.B.: Sind Schwarze Menschen als Wissensträger*innen sichtbar und ganz selbstverständlich, beiläufig ein Teil des Geschehens bzw. autonome Akteur*innen?
  • Welche Ziele hat wer für wen?
  • Wie offen darf gesprochen werden? (Wer darf sprechen?)
  • Wer hat welchen (selbst gewählten) Raum?
  • Welches/wessen Wissen wird als relevant erachtet bzw. wie viel Raum wird welchem Wissen gegeben? Was fehlt?
  • Was (und wer) wird als ›wissenschaftlich‹ und was als allgemeinbildender Wissenskanon angesehen, was (und wer) als unwissenschaftlich oder weniger wichtiges Spezialwissen abgewertet/ausgeschlossen?
  • Welche Kategorien/ Begriffe, um die Welt zu erklären/einzuteilen, werden wie benutzt?
  • Welche unhinterfragten Normalitäten weist das angebotene Wissen auf? Was/wer wird als normal angesehen/dargestellt? Was/wer als abweichend/anders?
  • Ermöglicht die Methode eine kritische Positionierung/einen kritisch-reflexiven Blick/ einen Kompetenzerwerb von Lehrenden und Lernenden?

Irritationen können im Unterricht etwa durch folgende Fragen initiiert werden:

  • Wie wird eine Lebensperspektive zur Norm für Humanität und Fortschritt stilisiert? (Vgl. dazu die europäischen Menschenrechte, die »Aufklärung«, usw.)
  • Wie wird eine Kultur zur Hochkultur stilisiert und unter welchen Ausschlüssen?
  • Auf welche Weise werden rassistische Alltagshierarchien von solchen Wissensangeboten verkannt, die Kulturen ins Zentrum ihrer Konfliktanalyse stellen?
  • Auf welche Weise reproduzieren Wissensangebote die dominante Norm (z.B. die weiße, männliche, heterosexuelle) anstatt heterogene Lebens- und Deutungsperspektiven sichtbar und erlebbar zu machen?


Quelle:

Aus: Autor*innenKollektiv (2015) Rassismukritischer Leitfaden (Hrsg.) zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für Afrika und afrikanische Diaspora schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein.

https://www.elina-marmer.com/wp-content/uploads/2015/03/IMAFREDU-Rassismuskritischer-Leiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf